ISABELLE CALS SOPRANO

Interview mit Isabelle Cals, Sopranistin

Als wir Isabelle Cals auf der Bühne der Oper in Tours im halsbrecherischen Orchesterlied „Frühlingsfeier“ von Richard Strauss hören konnten, waren wir sprachlos vor Staunen über Ihre Hochtöne, die sie wie expressive, glühende Pfeile übers Orchester schleuderte, das im vollen Forte spielte. Diese stimmliche Mühelosigkeit in den hohen Lagen um die sie so manche Sopranistin beneiden würde, hat sich anschließend in ihrer „Sieglinde“ an der Seite eines sensiblen und menschlichen „Siegmund“ von Nikolai Schukoff bestätigt. Wenige Wochen später hörten wir Isabelle Cals erneut, diesmal in der Rolle der Fremden Fürstin in Rusalka, der sie sowohl eine tänzerische Anmut als auch eine stimmliche Wucht, gefärbt vom düsteren Rollencharakter einhauchte.

Tutti-magazine: Wie fühlen Sie sich am Tag nach Ihrem Rollendebüt in der Oper „Rusalka“ hier an der Oper in Tours?

Ich habe normalerweise eine ausgeprägten Hang zur Selbstkritik - mich darauf zu konzentrieren, womit ich nicht zufrieden bin, um verbessern zu können, was verbessert werden muss, aber ich muss zugeben, dass ich heute, am Tag nach der Premiere, zufrieden bin. Dies Rolle stellt einen wichtigen Schritt in punkto Repertoire für mich dar. Sie gemeistert zu haben, bringt mir anscheinend die Anerkennung und Bestätigung, dass meine momentanen stimmlichen Mittel dieser Art von Repertoire entsprechen. Außerdem macht mir die Rolle der fremden Fürstin großen Spaß. Auch in punkto Temperament ist dieses Rollenfach ziemlich neu für mich, und viele sind überrascht, da ich gewöhnlich keine Bösewichte verkörpere. Aber finde das faszinierend, da man durch Spiel in einen entfesselten Zustand versetzt wird. Solch eine Frauenfigur zu verkörpern ist sehr befreiend.

Ihnen liegen also die besonders markanten, oder gar extremen Charaktere...

Das hängt zuerst von den stimmtechnischen Möglichkeiten und der stimmlichen Entwicklung ab, aber die exzessiven Figuren reizen mich am meisten. Es fällt mir leichter diese interessant zu gestalten, als weniger starke Charaktere. Mir ist das schon seit einer Weile bewusst, denn die Rollen, die mich in dieser Art und Weise fasziniert haben und in denen ich offenbar auch am meisten überzeugen konnte, waren Mélisande – ganz am Anfang meiner Karriere, Giulietta in Hoffmanns Erzählungen - ein bisschen weniger prägnant, da die Rolle nicht lange ist, und dann natürlich die Gouvernante in Turn of the Screw. Ich liebe es, diese Rolle zu singen und ich hoffe, dass noch einige andere starke Frauenrollen folgen werden...

Haben Sie den Eindruck, dass ihnen andere vokalen Möglichkeiten zu Verfügung stehen, wenn Sie starke Charaktere spielen?

Ich glaube, dass die Eigendynamik einer Rolle eine starke Reaktion des psychologischen Antriebs provoziert, die sich wiederum in der Körpersprache wiederspiegelt und somit Ausdrucksmittel bereitstellt, die man in anderen Rollen vielleicht nicht gleich zu Verfügung hätte. Allerdings kann man mit der psychologischen Herangehensweise nicht alles bewältigen. Mir ist schon vorgekommen, dass mich eine wahre Leidenschaft für eine Rolle gepackt hat, die aber nicht meinem Stimmfach entsprach und die psychologischen Triebkräfte reichten nicht aus, um mir die stimmlich erforderlichen Mittel bereitzustellen! Ich zweifle jedoch keinesfalls, dass die Kraft bestimmter Rollen, die richtigen körperlichen und stimmlichen Reaktionen auslösen kann.

Johannes Chum (der Prinz) und Isabelle Cals (die Fremde Fürstin) in Rusalka an der Oper Tours. ©Nikolai Schukoff

Erfordert das Studium einer Rolle in tschechischer Sprache eine bestimmte Lernstrategie?

Rusalka ist meine erste komplette Oper auf Tschechisch, aber während meiner Suche nach neuem Repertoire hatte ich die Gelegenheit mehrere Arien in dieser Sprache zu erarbeiten. Ich glaube übrigens nicht, dass es für mich einen Unterschied macht eine Rolle auf Tschechisch zu erlernen, oder auf irgend einer anderen Fremdsprache. Beim Rollenstudium ist mein erster Schritt normalerweise, dass ich mir das L’Avant Scène (franz. Opernführer in Heftform) zur Oper besorge, um mir einen Zugang zum Werk zu erschließen und mich mit dem Libretto vertraut zu machen, das ich mithilfe eines Wörterbuches zu verstehen versuche. Dann beginne ich mit der Aussprache und da der Text auf Tschechisch ist, bitte ich wie immer Irene Kudela mir zu helfen. Sie ist wahnsinnig nett und hat ein sehr gutes Ohr und eine sehr feinsinnige Wahrnehmungsgabe für die Psychologie der Menschen. Man kann sich also keine besseren Voraussetzungen wünschen. Wir konzentrieren uns nun zusammen auf den Text und sie passt auf, dass ich den richtigen Sinn der Worte verstehe, während sie mir zeigt wie man sie ausspricht. Dann arbeite ich zu Hause und nachdem ich die Musik unter die Wörter gelegt habe und anfange beides zu beherrschen, gehe ich wieder zu Irene, um mit ihr an der Rolle zu arbeiten.

Fällt es Ihnen heute dank Ihres Chinesisch-Studiums leichter, eine Rolle in einer Fremdsprache zu singen?

Nicht wirklich. Ich habe beim Chinesisch-Studium, wie beim Erlernen anderer Fremdsprachen, eher festgestellt, dass ich das Glück habe, ein gutes Gehör zu besitzen, das mir das Lernen erleichtert. Dank dieses Gehörs konnte ich Chinesisch lernen und es hilft mir, nicht zu viel Zeit zu verlieren, wenn ich eine Rolle auf Tschechisch, oder zum Beispiel Russisch erarbeite. Ich habe festgestellt, dass mein Gehör auf zwei Ebenen funktioniert: mein Gehör erkennt zweifelsohne sehr gut die Sprachmelodie, gleichzeitig visualisiere ich sehr präzise die Seiten meines Klavierauszugs mit allen meinen Anmerkungen und Notizen. Die auditive und visuelle Herangehensweise gehen also Hand in Hand. Im Endeffekt merke ich mir alles anhand des Sinns der Handlung. Wenn ich in der letzten Minute etwas in einer Sprache lernen soll, die ich nicht spreche und auch nicht spontan verstehe, ist das Auswendiglernen viel komplizierter. Die Verflechtung zwischen Wort und Musik ist für mich extrem wichtig. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich diese oder jene Rolle gerne spiele, bezieht es sich vor allem auf diese Korrelation.

Dieter Kägi hat „Rusalka“ inszeniert. Wie hat er die Rolle der fremden Fürstin mit Ihnen angelegt?

Diese Zusammenarbeit war sehr angenehm, denn der Regisseur war sehr offen für meine Vorschläge. Ich muss zugeben, dass ich diese Arbeitsweise sehr schätze, denn – auch wenn man das gute Auge eines Regisseurs braucht, wie auch die Stimme das Ohr eines Außenstehenden – komme ich zu den Proben mit Bildern, Gesten, ja manchmal Ausdrucksweisen, die sich für mich logisch aus der Arbeit mit Text und Melodie erschließen. Interessanterweise treffen diese Ideen, wenn ich sie in den Proben vorbringe, sofort auf spontane Zustimmung des Regisseurs. Natürlich muss sich diese Interpretationsidee dem Regiekonzept unterordnen. Im Falle der Fremden Fürstin hatte ich mir zum Beispiel eher ein gemeine, hinterhältige Hydra vorgestellt, als eine Furie, die sich durch offene Gewalt ausdrückt. In diesem Sinne hatte ich auch mit Irene Kudela gearbeitet. Umso mehr, als es unumgänglich ist, sobald man das dramatischere Repertoire singt, den übermäßigen körperlichen Einsatz zu kontrollieren, da er sich kontraproduktiv auswirkt. Das ist für Anfänger schwer zu verstehen, und deswegen raten die Gesangsprofessoren auch abzuwarten: Eine dramatische Rolle erfordert viel Erfahrung im Bereich der Körperbeherrschung und dem Kräftehaushalt… Dieter Kaegi hat sich allem sehr offen gezeigt und hat meine Vorschläge sehr gut angenommen und nach zahlreichem Gedankenaustausch kamen wir auf harmonische Weise in der Inszenierung voran.

Benjamin Pionnier, Isabelle Cals und Nikolai Schukoff : Unvergessliches Strauss-Wagner Konzert an der Oper Tours, im März 2017. D.R.

Vergangenen März hat die Oper Tours Sie zusammen mit dem Tenor Nikolai Schukoff zu einem Strauß-Wagner-Abend eingeladen. Begleitet hat sie das Symphonieorchester von Tours unter der Leitung von Benjamin Pionnier. Sie haben sich bei diesem Konzert mit Erfolg an das beeindruckende Lied « Frühlingsfeier » von Strauß herangewagt. Hatten Sie irgendwelche Befürchtungen vor der Arbeit an diesem Stück?

Als wir anfingen das Konzertprogramm mit Benjamin Pionnier zu planen, haben wir uns gegenseitig Vorschläge gemacht. Da habe ich mich für dieses Orchesterlied entschieden, weil ich so davon begeistert war, als ich es zum ersten Mal gehört hatte. Aus „Frühlingsfeier sprudelt ein unglaubliches Temperament, das ich, aus musikalischer und intellektueller Sicht, am ehesten mit Salome vergleichen kann. Zumal Salome eine meiner Traumrollen ist. Auf den Rat meiner jetzigen Gesangslehrerin hin und dank des Pianisten Jean-Marc Bouget hatte ich schon die Gelegenheit gehabt die Schlussszene von Salome ganz diskret im Rahmen eines Festivals auszuprobieren. Es ist wirklich gut gelaufen, so gut, dass nach dem Konzert einige Opernliebhaber und -kenner zu mir gekommen sind, um mich zu beglückwünschen, nachdem sie mir gestanden hatten, dass ihre erste Reaktion beim Durchlesen des Programmes war: Ganz schön dreist, sich an dieses Repertoire heranzuwagen... „Frühlingsfeier“ war nun also die Gelegenheit dieses Repertoire in „voller Bandbreite“ zu testen - auf der Bühne und mit großem Orchester. Ich erinnere mich noch an den Tag als ich mit dem Lied zu Deborah kam, denn ihre spontane Reaktion war: „wer hat das denn ausgesucht...?“. Und nach kurzem Zögern habe ich zugegeben: „Ich!“ In der Tat habe ich mich bei diesem Lied beim Konzert in Tours am wohlsten gefühlt, sicherlich weil es in mir eine Energie freisetzt, die meiner Lust entspricht, diese Art von musikalischer Schreibweise zu gestalten. So wunderlich das auch scheinen mag : Ich hatte keinerlei Bedenken, zumal ich mich auf eine sehr tragende Orchesterbegleitung stützen konnte, ganz anders als bei den Proben mit Klavier. Um ehrlich zu sein, habe ich mich damals gefragt, ob man mich überhaupt hören würde, da das Orchester in Tours mit auf der Bühne war. Aber es ist mir klar, dass ich mich an einem Punkt meiner Karriere befinde, wo ein Auftritt dieser Art, als ein Beweis gilt. Da ich aus dem Mezzo-Fach komme, ist es wichtig, mich in einem Stück zu präsentieren, das meine stimmlichen Fähigkeiten zeigt.

Könnte dieses Lied zu Ihrer Visitenkarte werden?

Eine Visitenkarte wäre eher eine Opernrolle, auch wenn dieses Lied zweifelsohne eine theatralische Dimension besitzt. Nun ja, warum eigentlich nicht, wenn man zuvor die Gründe für diese Wahl erklärt hat? Es fasst ja zudem sehr gut meine aktuellen stimmlichen Möglichkeiten zusammen. Ich weiß übrigens genau, dass ich es niemals hätte singen können, als ich noch Mezzo war… Das Konzert in Tours hat in dieser Hinsicht eine wichtige symbolische Bedeutung und kennzeichnet den Abschluss einer sehr langen Übergangsphase, die sehr viel länger war, als ich mir vorgestellt hatte, denn es ist jetzt schon 6 Jahre her, dass ich meine ersten Sopran-Rollen gesungen habe. Diese Etappe, und das spüre ich, macht den stimmlichen Weg, den ich eingeschlagen habe, glaubwürdig.

Wie ist Ihnen klar geworden, dass Sie zu einer höheren Stimmlage übergehen sollten?

Nach Abschluss des Chinesisch-Studiums und meines Aufbaustudiums im Bereich der Internationalen Beziehungen, habe ich in der Leitung einer Anwaltskanzlei als Asienexpertin und danach 3 Jahre lang für die Wirtschaftsprüfungskanzlei Deloitte gearbeitet. Als ich dann angefangen habe zu singen, war ich 24 Jahre alt. Es ging alles sehr schnell und ich hatte kaum gesangstechnische Kenntnisse. Es war wie ein zweites Leben, geboren aus einem dringenden Wunsch nach Subjektivität und Gefühlen. Eine Art Wiedergeburt, die ich seit langem erwartet und erträumt hatte. Die Kehrseite der Medaille dieses fast zu einfachen Blitzstarts war, dass ich mir – weil ja alles so gut lief und das Feedback über meine Leistungen sehr positiv war und ich leicht Engagements fand – letztendlich wenig Fragen darüber stellte: „wie das eigentlich funktioniert“, obwohl es mir bei Sprachen, paradoxerweise, sehr wichtig ist zu wissen, wie man sie genau artikuliert, um sie zu lernen. Aber ich hatte mich so nach dieser Neuorientierung gesehnt, dass ich es mir damals erspart habe, mir eine solide Gesangstechnik anzueignen – und das bereue ich heute.

Isabelle Cals in Madrid. © Nikolai Schukoff

Und Sie sind niemandem begegnet, der Ihnen diese Notwendigkeit klar gemacht hat, als Sie angefangen haben zu singen?

JIch habe zu damals mit Hubert Weller gearbeitet, dem Assistenten eines bekannten Gesangslehrers, der mich bis zum Centre de formation lyrique der Opéra de Paris (Opernstudio der Pariser Oper) begleitet hat. Ich nahm damals Gesangsstunden, wenn meine Büroarbeit es mir erlaubte und ich habe ziemlich schnell, ohne meiner Stimme Gewalt anzutun, nicht wenige Leute als Mezzo-Sopranistin überzeugt. Und so kam es , dass ich 12 Jahre lang eine gute Karriere als Mezzo machte, ohne dass sich jemand (oder beinahe niemand) die geringste Frage stellte. Und trotzdem spürte ich wohl, dass ich nicht in Lage war, so zu singen, wie ich es gewollt hätte und das hat mich immer gestört. Am Anfang ging alles gut, aber dann kam ziemlich schnell ein unbehagliches Gefühl auf, das zu einem Gefühl der Illegitimität wurde und mir das Leben schwer machte. Dazu kommt, dass ich große Lust auf eine lange Karriere hatte, die mein Bühnen-Bedürfnis stillen sollte, das ich schon als junges Mädchen gespürt, aber aus verschiedenen Gründen beiseite geschoben hatte. Ich konnte mir also nur eine langjährige Laufbahn vorstellen und dabei so gut zu singen wie möglich.

Dieses Gefühl der Illegitimität wurde im Laufe der Jahre immer stärker und ich habe glücklicherweise eine Reihe von Dirigenten, Korrepetitoren und Sängern kennengelernt, die in mir eher einen « kräftigen Sopran » als einen „richtigen Mezzo“ hörten. Jedoch hatte ich, auch wenn ich diese Reaktionen absolut nachvollziehen konnte, nicht die stimmtechnischen Möglichkeiten, die ein Sopran-Repertoire erforderte. Zu dieser Zeit hätte ich nicht eine einzige Seite eines Klavierauszugs als Sopran durchgehalten! Kurz nach meiner Premiere von Carmen an der Oper Lausanne hatte ich einen Vertrag für das zeitgenössische Werk Thérèse Raquin von Tobias Picker im kleinen Saal von Covent Garden. Diese Rolle war wirklich als Grenzpartie zwischen beiden Stimmlagen komponiert und ich habe mir gesagt, dass ich unbedingt etwas an meiner Technik ändern müsse. Zu diesem Zeitpunkt begann der sehr langen Prozess alles komplett in Frage zu stellen und ich habe mich auf die Suche nach Leuten gemacht, die mir dabei helfen könnten mein Handwerk zu erlernen. Ich habe mir nie gesagt: „Ich will als Sopran singen!“, sondern eher „ich weiß nicht, wie man richtig singt“. Eine Reihe von Leuten, denen ich vertraue, sahen in mir einen Sopran und so traf ich die Entscheidung in diese Richtung zu gehen, mir eine profunde Gesangstechnik anzueignen und am Ende zu schauen, was dabei herauskommt. Auf den Rat von Irène Kudela hin habe ich mich an Sylvie Valayre gewandt, die nicht nur eine bemerkenswerte Karriere gemacht hat, wie man weiß, sondern auch eine ausgezeichnete Pädagogin ist. Ihr verdanke ich meine ersten Sopranrollendebüts: Donna Elvira, Tatiana, Madame Lidoine, die Governess und Alice Ford.

Konnten Sie während dieser Übergangszeit weiter auftreten?

Ich habe weitergesungen, aber weniger als vorher, da ich bald realisierte, dass der richtige Weg zum Repertoire eines Soprans führte und dass ich Zeit brauchte, um eine neue Basis zu schaffen. So wie ich damals allerdings arbeitete, nämlich pausenlos, ein Projekt nach dem anderen, konnte ich nicht genug Zeit finden. Außerdem konnte ich keine Donna Elvira in der Sopranversion) in Angriff nehmen und gleichzeitig weiter Mezzo-Rollen singen, die einen stimmlichen Spagat von mir verlangt und der Arbeit, in die ich mich gestürzt hatte, geschadet hätten. Ich habe also beschlossen, eine gewisse Anzahl von Projekten abzulehnen oder sogar abzusagen, um mir die Möglichkeit zu geben, diesen Wechsel erfolgreich zu absolvieren und eines Tages – als Sopran - glaubwürdig zu sein.

Isabelle Cals als Donna Elvira in Don Giovanni, Regie von Paul-Émile Fourny. D.R.

Wie lange hat diese Übergangszeit gedauert?

EZwischen meiner ersten Donna Elvira und dem kürzlichen Strauss-Wagner-Abend an der Oper in Tours liegen gut 6 bis 7 Jahre. Zuerst habe ich die Zeit unterschätzt, die man benötigt, um sich ein solides Stimmwerkzeug zu erarbeiten. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass sich meine stimmlichen Möglichkeiten während dieser Arbeit so stark entwickeln würden. Donna Elvira, Tatiana, Madame Lidoine oder die Governess bedeuteten für mich schon einen wunderbaren Fortschritt. Und dann, im Laufe der Arbeit mit Deborah Polaski, durch die ich nun einen neuen gesangstechnischen und ästhetischen Zugang kennen lernen durfte, und die mir auch das Deutsche Repertoire näher brachte, haben sich neue Perspektiven geöffnet, die viel mehr dem entsprechen, was ich auf der Bühne zeigen will. Wie auch immer, glauben Sie nur nicht, dass ich mich jetzt bequem zurücklehne, denn ich sage mir immer: « Wenn ich das geschafft habe, dann kann es nicht so schwierig gewesen sein. Ich muss also noch weiter suchen… ». Das ist eine wunderbare Antriebsfeder, durch die man gut voran kommt, aber man macht sich das Leben damit nicht immer einfach.

Im Jahr 2006 haben Sie gesagt, dass die wahre Schwierigkeit des Sängerberufes für Sie darin liegt, dass man täglich mit sich selbst und seinen eigenen Grenzen konfrontiert wird. Existiert diese Schwierigkeit elf Jahre später immer noch?

Durchaus, aber ich würde jetzt hinzufügen, dass die stete Arbeit ein großartiges Mittel ist, seine eigenen Grenzen zu erweitern. Indessen finde ich im Gegensatz zu dem, was ich 2006 von mir sagen konnte, dass dieser ganze Entwicklungsprozess – lang, anstrengend, schmerzlich und begleitet von Zweifeln und großen Schwierigkeiten, im Besonderen dem Stagnieren einer bis dahin harmonisch verlaufenden Karriere – nun glücklich in diesem euphorischen Bewusstsein mündet, endlich das Rüstzeug zu besitzen, um das tun zu können, was meiner eigenen Persönlichkeit entspricht. Und dies sowohl was die Rollen betrifft, die sich mir nun erschließen, als auch den puren Gesang. Ich bin heute eher auf der Suche nach Exzess, nach Abgründen, Rissen, Versehrungen, alles Zustände, die Rollen entsprechen, welche einen enormen körperlichen Einsatz verlangen und die einen fordern, die Extreme der Stimme auszuloten. Das ist es, was mich motiviert. Dies alles ermöglicht mir nun, in diese Richtung vorzustoßen. Und, um ehrlich zu sein, wenn diese Entwicklung nun mit dem enden sollte, was die „Frühlingsfeier“ von R. Strauss symbolisiert, wäre ich schon vollauf zufrieden.

Wie wurde dieser Repertoirewechsel in der Opernwelt und von den Casting-Direktoren aufgenommen? Fühlen Sie sich verstanden?

Heute ja, weil das, was ich in letzter Zeit gezeigt habe, überzeugt hat. Aber meine Entwicklung wurde mit sehr viel Zweifel und Misstrauen bedacht, was ich gut verstehen kann. Die Leute haben sich eben gesagt: „Was ist denn in die gefahren? Schon wieder ein Mezzo, der glaubt, dass er Sopran ist, nur weil er mühelose Hochtöne hat! Woher kommt diese Schnapsidee, wo doch ihre Karriere als Mezzo wunderbar läuft?“ Es ist mir klar, dass viele Leute so reagiert haben, und ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig allein gefühlt habe, wenn es auch gleichzeitig eine gute Probe für meine Entschlossenheit war.

Glücklicherweise gab es auch ein paar Menschen, darunter mehrere Dirigenten, die an mich geglaubt haben; angefangen bei Benjamin Pionnier, der mich in meiner letzten Mezzo-Rolle in La Vie parisienne dirigiert hat, wo ich Metella gesungen habe, obwohl ich gerade meinen Wunsch zum Fachwechsel angekündigt hatte. Ich habe mit Benjamin dann in Hong-Kong zusammengearbeitet, wo ich die Micaela in Carmen sang, worauf er mich dann für eine Donna Elvira in Don Giovanni eingeladen hat. Und nachdem er mich in der Schlussszene von Salome gehört hatte, empfahl er mich einem anderen Orchester für die Vier letzten Lieder von R. Strauss.

Er war der Erste, der mir gesagt hat, dass ich die völlig richtige Richtung eingeschlagen habe. Schlussendlich war es auch er, der mir das Konzert in Tours angeboten hat, um mir die Möglichkeit zu geben, dieses deutsche Repertoire vor Publikum und mit Orchester auszuprobieren. Benjamin Pionnier gehört zu den Dirigenten, denen ich sehr viel verdanke.

Isabelle Cals mit Lawrence Foster am 31. Dezember 2016 in Shanghai für die 9. Symphonie von Beethoven. D.R.

Dann ist da Lawrence Foster, der meinen Weg begleitet und mich unterstützt hat. Er hatte mich nie nicht als Mezzo gehört und hat nicht den geringsten Zweifel an meiner Stimmlage geäußert. Ich habe ihm als Sopran zum ersten Mal für Falstaff vorgesungen und er hat mich für die Rolle von Alice mit dem Gulbenkian-Orchester von Lissabon engagiert. Ich kann mich noch erinnern, dass er gesagt hat: „Es ist toll, dass Sie ein so volles mittleres Register haben…“ und er hatte guten Grund dazu! Wir haben übrigens gerade gemeinsam L’Heure espagnole gemacht, eine Oper, die ursprünglich für Sopran geschrieben wurde, die aber oft von Mezzosopranen gesungen wird, da die Partie der Concepcion zwischen beiden Registern liegt. Als er mir die Rolle angeboten hat, sagte er mir diesen wunderbaren Satz: „Ich weiß schon, Du bist Sopran , aber ich möchte das Konzert mit Dir machen, trotz allem.“ Als ich mitten in meinem Hindernisparcours steckte, habe ich manchmal Angebote für Mezzo-Rollen bekommen und dann standen mir die Haare zu Berge. Aber heute, am Ende dieser langen Reise, weiß ich genau, wo ich mich befinde und wenn ich glaube, dass ich eine Partie singen kann und auch noch Lust dazu habe, kümmert es mich wenig, welche Etikette sie trägt. Das stellt meinen Status als Sopranistin nicht in Frage.

Und dann war da natürlich Colin Davis, an den ich mich voller Bewunderung und Zuneigung erinnere. Mit ihm habe ich viel Berlioz gesungen – Momente des höchsten Glücks, wie man sich leicht vorstellen kann. Als wir uns zum letzten Mal für Benvenuto Cellini begegnet sind – ich sang die Rolle des Ascanio – war er der Erste, der mir sagte, dass er in mir einen „jungen Heldensopran“ hörte, wie er sich ausdrückte, und dass er das „very exciting“ fand. Die Erinnerung an diese Worte trage ich tief in mir, wie einen wertvollen Schatz. Colin Davis war so liebenswert, mich darum zu bitten, ihn über meine Entwicklung auf dem Laufenden zu halten – was ich auch gemacht und ihm nach meiner ersten Donna Elvira Aufnahmen davon geschickt habe – und er hat sich die Zeit genommen, mir zu schreiben und mir seine Meinung zu geben. Er hat mir damals geantwortet, dass ich sobald als möglich Alceste und Iphigenie singen sollte. Ich habe diese Rollen noch nicht gesungen, aber wer weiß…

Isabelle Cals mit Pavol Breslik, Colin Davis und Kyle Ketelsen im Jahr 2006 im Théâtre des Champs-Élysées für Roméo et Juliette von Berlioz. D.R.

Das Konzert von „L’Heure Espagnole“ fiel mitten in die Probenzeit für „Rusalka“. Fiel es ihnen leicht von der tieferen Tessitur zu den hohen Lage der Fremden Fürstin zu wechseln?

Sehr leicht, und ich würde sogar sagen, dass es mir viel gebracht hat den Ravel zu singen. Mein neues Repertoire wird sich eindeutig entweder um Sopranrollen drehen, deren mittleres Register sehr ausgeprägt ist, oder um Rollen, die sich zwischen den beiden Stimmlagen befinden, den sogenannten Zwischenfachpartien, was mich erneut zu Rollen aus meinem alten Repertoire bringt und die ich mit großer Freude wieder singen werde. Auch wenn die Lage der Fremden Fürstin gespickt ist mit hohen Tönen, verlangt sie trotzdem ein kräftiges Mittelregister, da die Orchestrierung dicht ist in dieser Lage der Stimme. Also habe ich davon profitiert, während der Produktion von Rusalka die Concepcion zu singen, da sie hauptsächlich im Mittelregister liegt. Auch wenn die Orchestrierung von Ravel nicht mit der von Dvorak vergleichbar ist, bleibt sie dennoch ziemlich dick und insofern war es eine gute Übung für mich. Dennoch passe ich im Moment ungemein auf, nicht in ein „gemachtes“ abgedunkeltes Mittelregister eines Mezzos zu rutschen, das dadurch an Strahl und Durchschlagskraft verliert. Ich gebe also sehr acht, wenn ich Gefahr laufe, in meine früheren stimmlichen Reflexe zu verfallen. In facto glaube ich, dass ich jetzt viel natürlicher und ehrlicher singe was mein Timbre betrifft. Ich bin fest davon überzeugt, dass es das Ergebnis eines tiefgreifenden Selbstfindungsprozesses ist, wenn man es schafft, mit seiner eigenen natürlichen Stimme zu singen...

Isabelle Cals als Madame Lidoine in Dialogues des Carmélites, Regie von Éric Pérez. D.R.

Man sagt, dass ein Sänger, der nicht so singt, wie er sollte, seiner Gesundheit Schaden zufügen kann. Was halten Sie davon?

Davon bin ich überzeugt und ich bedaure sogar, dass ich nicht selbst die körperlichen Auswirkungen meiner damaligen Stimmtechnik gespürt habe. Aber ich muss sagen, dass ich sehr zäh bin und eine große stimmliche Ausdauer habe und das hat mich vor vielen Unannehmlichkeiten bewahrt. Die Jugend der Stimmbänder und des Körpers tragen mit dazu bei, dass stimmliche Fehltritte von jungen Sängern leicht überwunden, oder eine Zeitlang kompensiert werden. Außerdem sang ich damals kein dramatisches Repertoire - es war eher zentral mit Hochtönen. Wenn ich Amneris gesungen hätte, hätte ich zweifelsohne mit Stimmproblemen rechnen müssen... Umgekehrt fühle ich mich heute körperlich topfit und kerngesund dank meiner Stimmhygiene.

Liederabende nehmen einen wichtigen Platz in Ihrer Karriere ein. Was bedeutet Ihnen diese Kunstgattung?

Vor allem gefällt mir die Nähe zum Publikum. Diese Gattung entspricht meiner Vorliebe dafür, den Wortsinn zu vermitteln, und diese Osmose zwischen Wort und Musik ist bei einem Liederabend natürlich omnipräsent. Ich liebe es mit meinem Pianisten Programme zu entwerfen, die einen guten thematischen Aufbau haben. Die Ausführung eines Liederabends ist übrigens weitaus schwieriger, als die eines Opernabends. Trotzdem halte ich es für wichtig, regelmäßig Liederabende zu geben, nicht nur wegen der Gesundheit der Stimme, sondern auch, weil man mit seinem Instrument dabei subtiler arbeiten muss. Oft stellt man in der Oper, wenn man vor dem Publikum steht, fest, dass es schon ausreicht, wenn die Stimme groß genug ist und die Bühnenpräsenz stark. Aber wenn man, wie ich, zu einem gewissen Grad Perfektionist ist, muss man sich schnell eingestehen, dass in punkto Klangschönheit und feinen Nuancen ein Liederabend schon noch ganz was anderes ist... Was die Programmgestaltung betrifft, tendiere ich heute dazu, den Schwerpunkt auf das französische Liedrepertoire zu legen. In seiner eigenen Sprache zu singen, ermöglicht einen viel tieferen und feineren Zugang. Natürlich wird man auch von nicht französischsprachigen Sängern qualitativ Hochwertiges im französischen Repertoire hören, aber dieses „unterbewusste Magma“ das in dem Sänger brodelt, der in seiner eigenen Sprache singt, bewirkt eben diesen feinen Unterschied... Spontan fallen mir jetzt einige Lieder von Debussy ein, die ich noch nicht gesungen habe.

Ich spüre allerdings auch eine starke Affinität zum deutschen Repertoire, nicht nur wegen seiner sehr spezifischen Aussprache, sondern auch wegen der vokalen und instrumentalen Eigenarten. Weiters habe ich eine besondere Vorliebe für die Musik des „fin de sciècle“. Ich denke da im Speziellen an Lieder von Zemlinsky und Berg. Es gibt etwas in der Komplexität dieser Musik und in dieser dekadenten Atmosphäre, das mich unwiderstehlich anzieht.

Sie arbeiten oft mit dem Pianisten Antoine Palloc zusammen…

Antoine Palloc, Isabelle Cals und Nikolai Schukoff im Jahr 2011 im Théâtre Impérial von Compiègne. ©Tutti-magazine

Ein Zusammentreffen, von großer Bedeutung. Wir kennen uns aus meinen Anfängen, noch aus der Zeit am Centre de formation lyrique – dem Opernstudio der Pariser Oper – wo er von der Direktorin Christin Bullin eingeladen worden war Meisterkurse zu geben. Rein zufällig hat man mir zu diesem Zeitpunkt einen Liederabend mit französischen Liedern in Japan angeboten und ich war auf der Suche nach einem Pianisten dafür. Die Arbeit mit Antoine hatte so Spaß gemacht, dass ich ihn gefragt habe, mich zu begleiten. Es hätte nicht anders sein können. Antoine hat mir viel dabei geholfen, wie man ein Konzertprogramm gestaltet und er hat meinen Horizont in punkto Repertoire sehr erweitert. Dieser Liederabend in Japan war der Beginn einer langen Freundschaft; wir verstehen uns prima und das hat sich bis jetzt nicht geändert. Natürlich kommt es bei einer künstlerischen Zusammenarbeit – wie bei einer Liebesgeschichte – vor, dass man verschiedene Wege geht, ganz nach unterschiedlicher Persönlichkeit. Wir haben uns mit der Zeit zwar verändert, Antoine und ich, wie auch die Sichtweise unserer Karrieren anders geworden ist, aber wir haben festgestellt, dass wir uns noch genauso stark miteinander verbunden fühlen. Vor Kurzem haben wir uns sogar gesagt, dass wir wieder große Lust darauf haben, nach dieser langen Entwicklungsphase gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wir wollen aus dieser Periode, in der wir uns mit Lob und Kritik zur Seite gestanden haben, gemeinsam etwas machen und es auf die Bühne bringen.

Sie leben mit dem Tenor Nikolai Schukoff zusammen. Abgesehen von den zahlreichen Perioden der räumlichen Trennung, die sich ergeben, wenn beide Karriere machen, sehen sie diese Beziehung auf künstlerischer und menschlicher Ebene als fruchtbar an?

Wir haben immer sehr darauf geachtet, wen wir in unsere Beziehung eingeweiht haben. Vor allem während meines Fachwechsels war ich besonders vorsichtig, was dieses Thema betrifft, weil ich auf gar keinen Fall riskieren wollte, dass die Zweifel der Leute an meiner Entwicklung sich negativ auf die Karriere von Nikolai auswirken könnten. Ich habe also darauf bestanden, unsere beiden Karrieren im öffentlichen wie im professionellen Bereich eindeutig zu trennen. Außerdem wollte ich - einerseits aus Stolz und andererseits, um ihm nicht zu schaden - auf keinen Fall irgendeine Unterstützung, nur, weil man unsere Namen in Verbindung gebracht hatte. Heute, wo sich meine Situation verändert hat, ist es einfacher geworden, über uns beide zu sprechen… Sehen Sie: einem Sänger zusammen leben, ist überhaupt keine Belastung und wir empfinden es gar nicht als schwierig. Das dies allerdings sehr selten für ein Sängerpaar ist, dessen sind wir uns bewusst. Das Faktum, dass wir beide Sänger sind, bewirkt bei uns, dass wir uns ungemein verbunden und nahe sind, da wir dieselbe Leidenschaft für den Gesang teilen, mit allem, was diese mit sich bringt: der hohe Anspruch an sich selber, die Zweifel und manchmal auch die qualvollen und schwierigen Momente, in denen man sich in Frage stellt.

Isabelle Cals und Nikolai Schukoff. ©Nikolai Schukoff

All das sehen und verstehen wir sehr gut beim Anderen, daher fällt es uns leicht dem Partner das zu geben, was er braucht : Ehrlichkeit und - wenn es sein muss - Kritik, in dem Bewusstsein, dass man sie mit tiefen Respekt und Zueignung ausspricht. Außerdem kennen wir sie sehr gut, die Bedürfnisse, vor allem nach Zuneigung und Wärme, die sich in so einem Sängeralltag einstellen. Und Gott allein weiß, wie übermäßig viel Zuwendung so ein Bühnentier braucht! Vergessen wir nicht, dass es oft die seelischen Narben, ja die inneren Abgründe sind, die einen dazu bringen sich auf die Bühne und vor ein Publikum zu stellen! Wer könnte also besser verstehen, was ein Künstler durchmacht, als ein anderer Künstler ? Hinzu kommt, und das stellen wir täglich neu fest, dass der Erfolg des Anderen uns glücklich macht und mit Stolz erfüllt. Wenn ich im Saal sitze und Nikolai glücklich auf der Bühne vor einem genauso glücklichen Publikum sehe, macht mir das eine Riesenfreude. Umgekehrt sehe ich, dass für ihn das Gleiche gilt, wenn ich auf der Bühne stehe... Natürlich hat jeder seine Verpflichtungen aber im Endeffekt ist es nur eine Frage der Organisation.

Bereitet es Ihnen ein besonderes Vergnügen, zusammen auf der Bühne zu stehen?

Natürlich, aber wir singen selten zusammen. Das Niveau, auf der sich Nikolais Karriere befindet, bringt einen enormen Leistungsdruck mit sich, und sein Repertoire ist sehr anspruchsvoll. Unter diesen Bedingungen ist es sehr viel angenehmer, den Anderen im Publikum zu wissen, damit er zuhören und helfen kann, indem er ein bisschen von diesem Druck abbaut, anstatt dass beide auf der Bühne stehen. Aber dank des Fortschritts, den ich gemacht habe und der mir nicht nur ein Gefühl der Sicherheit, sondern auch ein solides Fundament beschert hat, singen wir immer öfter zusammen, was mir - bessergesagt uns - ein immer größeres Vergnügen bereitet. Man könnte sagen, dass es sich heute um eine echte Partnerschaft handelt – im wahrsten Sinne des Wortes. Zudem wirkt das starke Band zwischen uns auf der Bühne ganz selbstverständlich. Wir sind uns dessen natürlich bewusst, aber es entsteht da noch etwas Anderes, was die Leute ergreift und das wir nicht bewusst kontrollieren. Nach dem Duett aus der Walküre zum Beispiel, waren wir überrascht und richtig glücklich, als uns die Leute die Existenz jener Dimension bestätigten, die über gutes Singen hinausgeht und die dieser Opern-Liebesgeschichte ein ganz besonderes Leben einhaucht. In einem Moment wie diesem, zeigt sich zweifelsohne, inwieweit ein zusammengeschweißtes Paar, wie wir eines sind, eine solche Szene noch steigern kann.

Isabelle Cals als Alice Ford in Falstaff, Regie von Gilles Bouillon. D.R.

Sie waren 24 Jahre alt, als sie der Gesang gepackt hat, als die schönste Art sich auszudrücken und mitzuteilen. Haben Sie aus heutiger Sicht Erfüllung gefunden, durch dieses Ideal dem, Sie gefolgt sind?

Voll und ganz. Ich habe in der Tat angefangen zu singen mit der inneren und felsenfesten Überzeugung, dass dies die „wahrhaftigste“ Art und Weise ist, mich auszudrücken und meine Existenz zu rechtfertigen. Ich hatte damals schon das (vielleicht noch ungenaue) Gefühl, dass es die starken, ja exzessiven Charakteren sind, die ich verkörpern will. Ich spürte, dass meine ersten musikalischen Emotionen mich zu diesen Figuren führen würden.

Ich erinnere mich noch, wie überwältigt und aufgewühlt ich war nachdem ich zum ersten Mal Salome gehört hatte. Genauso fühlte ich einen regelrechten Schlag in die Magengrube bei meinem ersten Wozzek. Meinen ersten Parsifal habe ich im Zuge eines Schüleraustausches an der Met gehört und dieser Opernabend war eine Offenbarung für mich... Ich komme aus einer Musikerfamilie, die Generationen zurückreicht und nun hat mich die Musik zweifellos wieder eingeholt. Sagen wir so, ich hatte günstige Ausgangsbedingungen.

Isabelle Cals als Gouvernante in The Turn of the Screw, Regie von Dominique Pitoiset. D.R.

An welchen neuen Rollen arbeiten Sie gerade?

Ich werde mich bald wieder in Eugen Onegin versenken, da ich Anfang Februar 2018 Tatjana an der Oper in Metz singen werde. Ich arbeite auch an Salomé, wie Sie sich sicher vorstellen können, aber auch an Sieglinde und Kundry, eine weitere sehr komplexe Figur. Isolde und Kostelnička stehen auch auf dem Programm für meine nächsten Treffen mit Deborah – welch spannendes Programm!

Ich denke auch an Dido, die meinem Geschmack nach Extremen nachkommen würde… Nachdem schon ich Béatrice et Bénédict, La Damnation de Faust, Benvenuto Cellini, Roméo et Juliette und Ascagne in Les Troyens gesungen habe, möchte ich die Rolle der Cassandre angehen. Vor ein paar Tagen haben wir darüber mit Lawrence Foster gesprochen, der mir sagte, dass ich eine Cassandre bin. Dasselbe hat mir übrigens auch John Nelson gesagt, als ich ihm noch mitten in meinem Fachwechsel vorgesungen habe. Als ich Lawrence Foster gestand, dass ich von dieser Rolle träume und dass ich mir sogar vorstellen könnte, beide Rollen, Didon und Cassandre, gleichzeitig zu singen, hat er geantwortet, dass er es nie wirklich sinnvoll gefunden hat, beide Rollen mit derselben Sängerin zu besetzen. Auf die Frage, warum ich das denn wolle, hätte ich ihm die humorvolle Antwort von Deborah Polaski zu diesem Thema zitieren können: „because you can!“. Aber ich habe dann Lawrence Foster ganz einfach mit einem Lachen erklärt, dass einer der Gründe, warum ich die Musik von Berlioz so sehr liebe, diese Dimension des Größenwahns ist, dieser Hang zum Exzess, den ich unbestreitbar in mir trage, selbst wenn man das von mir, außerhalb der Opernbühne, nie vermuten würde.

Das Interview führte Philippe Banel am 18. Mai 2017- zum Originalinterview